Aggression als Ressource - Hintergrund

Aggression als Ressource - Hintergrund

 - interaktiv zum Reinschnuppern und Antesten mit Eigenerfahrung -

 

Ein Blick in die Hintergrundphilosophie
unseres Übungsansatzes:


Uns geht es um Integration sowohl der positiven Kraft wie des
destruktiven Potenzials von Teilnehmenden in ihr eigenes Selbstbild:
Kraft, die genutzt werden will, und Destruktivität, die verantwortet werden
muss. Dazu verwenden wir einen weiten Aggressionsbegriff.
In der alltagssprachlichen Bedeutung meint man mit Aggression im
engen Sinne einen negativen Angriff oder Übergriff. Entsprechend klar
gibt der Duden Auskunft:

1. (Völkerrecht) rechtswidriger militärischer Angriff auf ein
fremdes Staatsgebiet
2. a) (Psychologie) durch Affekte ausgelöstes, auf Angriff
ausgerichtetes Verhalten des Menschen, das auf einen
Machtzuwachs des Angreifers bzw. eine Machtverminderung
des Angegriffenen zielt
b) (Psychologie) feindselige, ablehnende Einstellung, Haltung

Von der Bedeutung der Wortzusammensetzung her meint Aggression
(vom lateinischen aggredi, aggressio) schlicht Herangehen oder Annähern, der
Begriff hatte aber auch schon im Lateinischen ein ganzes Spektrum an
Bedeutungen, von etwas angehen oder Anlauf eines Redners bis hin zum Angriff
im kriegerischen Sinne.
In unserer Arbeit mit dem inneren Erleben rund um das ganze Phänomen
der Aggression hat sich dagegen die Erweiterung des Begriffs bewährt.
Und dabei sind wir noch einen Schritt weiter gegangen und sehen die
Aggression für diesen Zweck:
1. als übergeordnete Begrifflichkeit für zielgerichtetes Verhalten auf
jemanden oder etwas zu, um dort etwas bewusst oder unbewusst zu
bewirken,
2. als Sammelbegriff für die dahinterliegenden Absichten, die nicht zu
trennen sind von den wiederum dahinterstehenden Einstellungen,
bzw. Haltungen – und für die darin wirkende Antriebs- und
Handlungsenergie, diese wiederum verbunden mit der Ebene der
emotionalen Gestimmtheit,
3. als ein Kontinuum zwischen Konstruktivität und Destruktivität
entlang des ganzen Spektrums mit all diesen Aspekten.
Wenn wir in der Aggression also nicht nur das Handeln und die Absicht
sehen, sondern auch die innere Haltung miteinbeziehen, dann handelt
unsere Arbeit von Aufrichtigkeit und vom Mut, sich Anderen mit der
eigenen Wahrheit zuzumuten. Und sie handelt vom Vertrauen, damit
gemeinsamen Werten zu dienen. Wir nehmen das wörtlich und
erarbeiten die dazu dienenden Qualitäten auch körperlich: das physische
Aufrichten, das Losgehen, sich einem Gegenüber zuzuwenden und ganz
wörtlich zu nehmend einen Standpunkt einzunehmen, also Stellung zu
beziehen. Das führt im direkten und übertragenen Sinn zum aufrechten
Gang.
Mit diesen Qualitäten Begegnungen und Konflikte auf Augenhöhe
gestalten zu können gelingt nicht, wenn zu viel Negatives in sich
reingefressen, unterdrückt, verdrängt, verleugnet, auf Andere projiziert
und dort bekämpft wird. Das meinen wir mit der Vergiftung von
Aggression. Das alles kostet zu viel Energie und zu viele Opfer. Konflikte
machen Angst und verständlicherweise gilt Aggression im üblichen
Verständnis als negativ. Allerdings wird oft nicht nur die konkrete
schädliche Handlung, sondern die aggressive Regung dahinter als solche
schlecht bewertet. Ohne Frage gehört schlechtes Verhalten klar und
deutlich als schlecht benannt – sonst kann man es nicht unterlassen oder
verändern. Aber der Impuls dahinter enthält zu viel wertvolle Energie, die
wir nicht im bloßen Hemmen oder Vermeiden vergeuden sollten. Das
passiert aber schnell im Zusammenhang von Aggressionstabus und der
Angst, jemandem auf die Zehen zu treten. Kein Mensch ist einfach nur
»aggressiv«, sondern er oder sie befindet sich immer in einem komplexen
Ich-Zustand, von dem die aggressive Stimmung und aggressive
Handlungen nur äußerliche Aspekte sind.
Es geht uns also um die Integration des ganzen Spektrums aggressiver
Kräfte im eigenen Selbst. Deswegen wird auch von Integrativer
Aggressionsarbeit die Rede sein.
Um dies alles aufstellbar und übbar zu machen, haben wir Settings
entwickelt, in denen zwei oft widerstreitende Polaritäten vereinbar werden
können: nämlich sich in die Konfrontation über einen Dissens zu wagen
und dabei trotzdem im Dialog bleiben zu können. Das heißt, dass sich
eine unter Umständen sogar hohe Konfliktspannung aufbauen kann, aber
die Verständigung darüber nicht abbricht. Um diesen Widerspruch und
seine Integration auch begrifflich zu fassen, nennen wir unsere
Übungssettings Dialogische Konfrontationen. Damit ist auch benannt, dass in
dialogischen Aufstellungen gearbeitet wird, also grundsätzlich mit eine*r
Begegnungspartner*in als Gegenüber. Man steht sich partnerschaftlich
zugewandt und gleichzeitig konfrontativ gegenüber – entweder ganz
wörtlich in den Stand-Übungen oder im übertragenen Sinne wie im
Ringen.

(Auszug aus dem Buch von Thomas Scheskat „Aggression als Ressource“, Psychosozialverlag 2020)

 

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